Rheinische Post
Ein Raum voller Erinnerungen
Die Aufführung von Adnan Köses Stück „Unter Tage“ in der Schwarzkaue der Zeche Lohberg beschert
einen sehr bewegenden Theaterabend. Die kraftvolle Präsenz der Darsteller fesselt.
Die drei wichtigsten Fragen: Hast du schlimm gefroren? Übt der verlassene Zechenraum einen Zauber aus? Hat das Schauspiel dich berührt? In der Schwarzkaue der Zeche Lohberg ist es kalt, natürlich ist es kalt, aber nicht unerträglich mit warmer Kleidung, außerdem liegen schwere Wolldecken und kleine Handwärmkissen am Platz. So lassen sich die zwei Stunden, die die Aufführung von Adnan Köses Theaterstück „Unter Tage“ dauert, ganz gut aushalten.
Ansonsten: zweimal Ja. Die Inszenierung ist spannend, das Gesamtpaket mit Knappenchor und Doku-Film vorab sehr stimmig; die Schauspieler spielen furios, mit Pistole in der Hand erschreckend gut im Wortsinn. Und der Raum? Der Raum – kahl bis auf zwei karge Holzbänke – ist die Wucht.
Tickende Zeitbombe
In der Schwarzkaue haben die Kumpel früher, bevor das Bergwerk 2005 schloss, ihre kohlenstaubige Arbeitskleidung in Körben zur Decke gezogen bis zur nächsten Schicht. Die Körbe hängen noch immer da oben, spinnengleich, fürs Theaterspiel rot angeschimmert, wie in stummer Verweigerung: Uns bekommt ihr hier nicht weg. Statt dreckigem Deutschleder tragen sie nun schwer an Erinnerungen.
Mit seinem Drama „Unter Tage“, uraufgeführt 2003 auch schon auf Lohberg, leistet Autor und Regisseur Adnan Köse Erinnerungsarbeit. Er hält Rückschau auf den Bergbau an sich, die Geschichte der Gastarbeiter, das Zechensterben. Doch kämpfen seine Figuren nicht allein mit ihrer Vergangenheit als Kumpel, sondern auch mit ihren familiären Verstrickungen und Enttäuschungen. Wenn sie von Großvater oder Vater erzählen, durch einen Lichtstrahl aus Raum und Zeit gehoben, hat die Aufführung ihre stärksten, ihren bewegendsten, ihre rührendsten Momente.
Ein klassischer Konflikt am Tag, als die Zeche Lohberg stirbt: zwei Brüder prallen aufeinander, das Gemisch aus ewigem Kräftemessen, Eifersucht auf den Vater, Gezerre um die Geliebte, Angst vor der Zukunft ist explosiv. Thomas ist eine tickende Zeitbombe, mit der Pistole in der blutigen Faust fühlt er sich gut. Der Bruder, Ritchie, ist ein klassischer Zauderer. Den entscheidenden Unterschied zwischen beiden hat Köse in einem Satz aufgeschrieben, den Ritchie zu Thomas sagt: „ich bin auch ein Loser, aber ich zerstöre mich nicht selber.“ Die Freiheit der Wahl, wie sie in „Unter Tage beschworen wird, läuft für Köse nicht auf Zerstörung hinaus, sondern auf Erneuerung. So wie Lohberg sich jetzt als Kreativstandort erneuert. Deshalb hat der Lohberger, der noch selber einfuhr, sein Stück für die Ruhr.2010 wieder aufgenommen. „Unter Tage“ lebt von den drei Hauptfiguren und ihren kraftvollen Darstellern mehr als von der zum Ende hin ein wenig übergroßen Tragödie. Je geisterhafter das Stück wird, desto mehr schwindet die körperliche, bedrängende Präsenz von Thomas, Ritchie und deren Kumpel Kemal. Er, fabelhaft ungekünstelt gespielt von Aydin Isik, räumt irgendwann das Feld für die Abrechnung der Brüder – und lässt eine große Leere zurück.
Der Abend beginnt mit zwei Liedern des MGV Concordia Lohberg in Knappentracht. Einer der Sänger erzählt, wie er in der leeren Schwarzkaue noch immer die Stimmen seiner Kumpel höre, „Glückauf, und eine gute Schicht“. Danach läuft ein kurzer, sehr feiner Dokumentarfilm über die Arbeit auf Lohberg, gedreht 2003 von der Niederländerin Jiska Rickels. Minute für Minute verschwimmen Leinwand und Schwarzkaue mehr und mehr ineinander und schließlich ist es, als würden Wörter und Töne aus dem Raum dringen, und die Bilder liefen stumm ab. Sehr sehr lang anhaltender Applaus des Premierenpublikums, stehende Ovationen in der ausverkauften Schwarzkaue. Und ein glücklich lächelnder Adnan Köse.
More